Senkrechtstarter

Sie gelten als verheißungsvolle Kandidaten für die Solarmodule der Zukunft: Materialien mit Perowskit-Struktur. Prof. Michael Saliba mischt seit den Anfängen des jungen Forschungsgebiets kräftig mit. In Jülich verfolgt er nun eine neue Idee.

3,8 Prozent – der Wirkungsgrad, den japanische Forscher 2009 mit ihrer Solarzelle erreichten, riss niemanden vom Stuhl. Dieser Wert gibt an, wie effektiv Sonnenenergie in Solarstrom umgewandelt wird. Herkömmliche Solarzellen aus kristallinem Silizium erreichten damals im Labor bis zu 26 Prozent.

Dennoch horchten Experten weltweit auf: Die japanische Solarzelle bestand aus einem seit 40 Jahren bekannten Material, dem Forscher bis dahin keine besonderen Eigenschaften zugeschrieben hatten. Charakteristisch für das metall-organische Material ist seine Kristallstruktur (s. Abbildung), es zählt zu den Perowskiten, benannt nach einem natürlich vorkommenden Mineral. „Es war für viele eine Überraschung, dass dieses Perowskit-Material ein Halbleiter sein kann und es somit für Solarzellen geeignet ist“, sagt Saliba, der bereits Anfang 2011 als junger Doktorand in Oxford begann, diese Materialien zu erforschen. Perowskite haben gegenüber Siliziumkristallen entscheidende Vorteile: Sie lassen sich einfach, kostengünstig und energiesparend herstellen.

TU Darmstadt / Sandra Junker

Schon bald zeigte sich, dass sich der Wirkungsgrad der Perowskit-Solarzellen enorm verbessern ließ. Unter den Materialforschern weltweit brach eine Art Goldrausch aus: Im Jahr 2013 erschienen bereits rund 50 wissenschaftliche Publikationen zu halbleitenden Perowskiten, 2019 waren es über 3.800. „Der Wirkungsgrad-Rekord von Perowskit-Solarzellen liegt inzwischen bei erstaunlichen 25,2 Prozent, der dem Rekordwert von jahrzehntelang optimierten Siliziumzellen von 26,7 Prozent sehr nahe kommt. Ursprünglich hatte es wohl niemand für möglich gehalten, dass Perowskite innerhalb von nur zehn Jahren eine Effizienzsteigerung von rund 20 Prozentpunkten hinlegen würden. Die Entwicklung ist beispiellos in der Solarzellen-Materialforschung“, so Saliba.

Der 36-jährige Physiker gehört zu den Stars des Forschungsgebietes: 2020 erhält er mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft eine der wichtigsten Auszeichnungen für Nachwuchswissenschaftler in Deutschland. Die Zeitschrift „Capital“ wählte ihn zweimal in die „Junge Elite – die Top 40 unter 40“ in der Kategorie Wissenschaft und Gesellschaft, die Zeitschrift „MIT Technology Review“ nahm ihn 2017 in die Liste der weltweit führenden Innovatoren unter 35 auf und das Institute for Scientific Information zählt ihn zu den am häufigsten zitierten Wissenschaftlern seines Fachgebiets. Nach Aufenthalten in den USA, in Großbritannien und in der Schweiz wechselte er 2019 als Professor an die TU Darmstadt. Seit 1. Juni 2020 leitet Prof. Saliba das Institut für Photovoltaik (ipv) der Universität Stuttgart und ist gleichzeitig Leiter der Helmholtz-Nachwuchsgruppe FRONTRUNNER am Jülicher Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-5).

Noch nicht stabil genug

Bei der Jagd nach höheren Wirkungsgraden und einem tieferen Verständnis ist Saliba stets dabei. So zeigte er 2016 gemeinsam mit Forschern aus der Schweiz, dass sich durch Einfügen von Rubidium-Atomen in die Perowskit-Struktur Solarzellen mit einem Wirkungsgrad von 21,6 Prozent herstellen lassen. Ebenso beschäftigt er sich mit der wohl größten Hürde auf dem Weg zu einer marktfähigen Perowskit-Solarzelle: der mangelnden Langzeit-Stabilität. „Wenn Perowskit-Solarzellen die etablierte Silizium-Technologie verdrängen wollen, müssen sie vergleichbar lange funktionieren“, sagt der Physiker.

Ausschnitt aus dem Inneren eines Perowskits: Drei Atomsorten A, B und X sind in einer bestimmten Struktur regelmäßig angeordnet. Die Atome X (violett) umgeben die Atome B (blau) in Form eines Oktaeders (rosa), das Atom A (hellblau) liegt zwischen vier Oktaedern. Das ist aber nur die einfachste Form. Die Perowskite, die Michael Saliba für Solarmodule entwickelt, können deutlich mehr als drei Atomsorten enthalten. Auf den Positionen der Atome X können sich zum Beispiel unterschied­liche Atomsorten abwechseln. Anstelle von Atomsorten verwendet der Jülicher Forscher auch schon mal kleine Moleküle. Die jeweilige Zusammensetzung des Perowskits bestimmt die Eigenschaften des Materials.
Seitenplan

Eine hohe Anforderung, denn Silizium-Module altern recht langsam, selbst nach mehr als 20 Jahren im praktischen Einsatz büßen sie nur wenig von ihrer Leistungsfähigkeit ein. Die Lebensdauer neu entwickelter Module lässt sich außerdem zuverlässig vorhersagen – und zwar mithilfe standardisierter Methoden. „Diese Tests lassen sich jedoch nicht einfach auf Perowskit-Solarzellen übertragen. Perowskite reagieren anders als Silizium auf Belastungen wie Temperaturschwankungen, Feuchtigkeit, Hagel, Licht und elektrische Vorspannung“, erläutert Saliba. Er arbeitet zusammen mit Kollegen aus aller Welt daran, vergleichbare Tests für Perowskit-Solar­zellen zu entwickeln und die Alterungsprozesse detailliert zu verstehen. Er hat zudem mit zwei anderen Forschern eine Perowskit-Solarzelle mit einem Wirkungsgrad von über 20 Prozent hergestellt, die im Labor weniger schnell an Leistung verliert als bisherige Perowskit-Zellen. Dazu haben Saliba und seine Kollegen zuvor verwendete temperaturempfindliche Methylammonium-Ionen durch eine Mischung aus Rubidium-, Cäsium- und Formamidinium-Ionen ersetzt.

Saliba ist überzeugt, dass die Wissenschaft bislang erst am Rand der „Goldader“ der Perowskite schürft: Er hat errechnet, dass allein durch die Kombination bisher eingesetzter Komponenten über 6.000 verschiedene Perowskite möglich wären. Diese Zahl steigt auf über 14.000, wenn nur eine weitere Komponente hinzukommt. Zieht man dann noch in Betracht, dass die Mengenverhältnisse der Komponenten nahezu beliebig gewählt werden können, ergibt sich eine fast unendliche Vielfalt an Perowskiten. „Ich bin ziemlich sicher, dass darunter Perowskite sind, die für Solarzellen, LEDs oder Sensoren noch besser geeignet sind als die bisher bekannten“, sagt Saliba.

In Jülich will er mithilfe automatisierter Verfahren in kurzer Zeit sehr viele dieser halbleitenden Perowskite als mikrometergroße Teilchen in einer Flüssigkeit, als sogenannte Kolloide, herstellen. Vortests – ebenfalls automatisiert ablaufend – sollen dann erste Hinweise auf besonders vielversprechende Kandidaten liefern. Dabei fahndet die Jülicher Nachwuchsgruppe auch nach Perowskiten, die auf Siliziumzellen aufgebracht werden können. Da Perowskite und Silizium verschiedene Spektralbereiche des Sonnenlichts absorbieren, könnten sie als Tandem ein breiteres Spektrum des Lichts zur Stromgewinnung ausnutzen. „Auf diese Weise könnten aus den Konkur­renten Silizium und Perowskit Freunde werden, die den Photovoltaik-Markt gemeinsam neu aufmischen“, sagt Saliba und schmunzelt.

Frank Frick

Letzte Änderung: 05.03.2023