Supercomputer für große Rechenaufgaben und KI

Schneller rechnet derzeit vermutlich niemand in Europa: Der Jülicher Supercomputer JUWELS hat dank eines neuen Booster-Moduls noch einmal enorm an Rechenleistung zugelegt. Forschende aus ganz Europa haben in den letzten Monaten Programme so angepasst und weiterentwickelt, dass sie massiv parallel auf den mehr als 3.700 Grafikprozessoren (GPUs) des Boosters laufen.

„Die enorme Leistung des neuen Boosters erlaubt es, noch deutlich größere Probleme zu lösen, also anspruchsvollere Simulationen durchzuführen als bisher“, sagt Dr. Dorian Krause, Leiter der Abteilung „Hochleistungscomputer-Systeme“ am Jülich Supercomputing Centre. Das Modul bietet zudem neue Möglichkeiten für den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI). Über 180 verschiedene Arbeitsgruppen nutzen das fertig ausgebaute modulare JUWELS-System. Die Arbeiten drehen sich um grundlegende Fragen, die sich beispielsweise in Bezug auf das Klima, die Umwelt, erneuerbare Energien, die Eigenschaften von Materialien oder in der Hirnforschung stellen.

Forschungszentrum Jülich / TRICKLABOR

Suche nach medizinischen Wirkstoffen

„Ein in der derzeitigen COVID-19-Krise sehr aktuelles Beispiel liefert die Unterstützung der Medikamentenentwicklung am Computer“, erklärt Prof. Thomas Lippert, der Leiter des Jülich Supercomputing Centre. „Erst die Rechenpower des Boosters ermöglicht es unseren Forschenden, die Prozesse vor, während und nach dem Aufeinandertreffen eines potenziellen Wirkstoffs mit einem Rezeptor oder Protein realitätsnah genug zu simulieren.“
Üblicherweise setzen Wissenschaftler für die Suche nach medizinischen Wirkstoffen Programme ein, mit denen sich herausfinden lässt, ob diese räumlich und chemisch zu bestimmten Bindungsstellen eines Rezeptors oder eines anderen Proteins passen. Die Wirkung hängt allerdings daneben auch davon ab, wie lange eine Substanz am Rezeptor verbleibt. Forscher wollen auf JUWELS daher nun den gesamten dynamischen Prozess realitätsgetreu simulieren, um die Verweildauer und Effizienz eines möglichen Wirkstoffkandidaten abzuschätzen. Solche Moleküldynamik-Simulationen stellen enorme Ansprüche an die Rechenleistung und werden nun mit dem JUWELS-Booster möglich.

Simulation des Wasserhaushalts im Boden

Forschungszentrum Jülich / S. Kollet, J. Hokkanen

Mit einer anderen Anwendung, ParFlow, simulieren die Forschenden Oberflächen-, Erd- und Grundwasserbewegungen. Dabei berücksichtigt das Programm menschliche Einflüsse wie Grundwasserförderung oder Bewässerung. Mit dem Booster werden die Forschenden erstmals ParFlow-Simulationen für Deutschland und Europa mit der erforderlichen feinen Auflösung beispielsweise von einzelnen Hängen oder Flusskorridoren durchführen können. Dies ist eine der Voraussetzungen, um Prognosen über Wasserressourcen individuell für jede landwirtschaftliche Parzelle über ganz Deutschland zu erzeugen.

Klimawirkung von Spurengasen erkunden

Ein weiteres Beispiel: Das Programm MPTRAC simuliert den Weg von Spurengasen in der oberen Atmosphäre. Ein solches Spurengas ist Schwefeldioxid, freigesetzt etwa von Industrieanlagen und Vulkanen. Seine Wirkung auf das Klima wollen Forschende erkunden. Satellitenmessungen geben die Verteilung der Gase rund um den Globus nicht vollständig wieder. Die Daten werden daher mit MPTRAC-Simulationsdaten geschickt kombiniert. Fachleute nennen das enorm rechenintensive Vorgehen inverse Modellierung. Dank des JUWELS-Boosters können die Forschenden nun Satellitenmessungen aus zehn Jahren mit rund 100 Vulkanausbrüchen berücksichtigen.

Rechenressourcen intelligent nutzen

JUWELS beruht auf einer hochflexiblen modularen Architektur, die das Forschungszentrum Jülich gemeinsam mit europäischen und internationalen Partnern wie ParTec, Rechenzentren wie dem Leibniz-Rechenzentrum in Garching und der Universität Barcelona entwickelt hat. Der Superrechner verfügt nun auch über ein Booster-Modul, das mit dem Cluster-Modul eng verbunden ist. Ein Beispiel für eine Anwendung, die von diesem Konzept in besonderer Weise profitiert, ist die Terrestrial System Modelling Platform (TSMP). Forschende können damit unter anderem prognostizieren, in welcher Zeit und bei welchen Niederschlagsmengen sich die Wasserressourcen einer Region von Dürreperioden erholen. Bei der TSMP handelt sich um mehrere miteinander gekoppelte Computermodelle, darunter ParFlow, das vom Booster besonders profitiert. Dagegen ist das Atmosphärenmodell, das in der TSMP-Plattform verwendet wird, nicht für die Grafikkarten-basierte Architektur des Boosters optimiert. Daher wird die jetzige Version des Modells auch künftig auf dem JUWELS-Cluster mit seinen traditionellen Prozessoren (CPUs) gerechnet werden.

Europas stärkste Plattform für künstliche Intelligenz

Der Jülicher Supercomputer erfüllt zudem die besonderen Ansprüche, die lernende Software an Rechner stellt. JUWELS bietet dank seines neuen Boosters die stärkste Plattform Europas für den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI). Etwa 12 Millionen sogenannte CUDA-Kerne (FP64) vereint der Booster auf seinen über 3.700 Grafikprozessoren, die auf der neuen Ampere-Architektur von NVIDIA basieren.

Auch die angebundenen Datenspeicher sowie die Eingabe-Ausgabe-Fähigkeiten des Systems sind auf die besonderen Anforderungen von Anwendungen mit KI zugeschnitten. Während bei klassischen Computersimulationen aus wenigen Eingabedaten sehr viele Daten erzeugt werden, ist es beim maschinellen Lernen oft umgekehrt: Dabei werden zunächst riesige Datenmengen eingelesen und analysiert, um einen Algorithmus zu trainieren, während als Ergebnis deutlich weniger Daten ausgegeben werden.

Gemessene Temperaturen (oben) vs. mittels Deep Learning vorhergesagte Temperaturentwicklung (unten).
Copyright: Forschungszentrum Jülich / M. Schultz, A. Mozaffari, M. Langguth, B. Gong, S.Stadtler

Ein Beispiel liefert das Projekt DeepACF. Es soll die Vorhersage von extremen und lokal begrenzten Wetterereignissen wie Gewitter und Starkregenschauer mittels Deep Learning verbessern. Dafür setzt es auf das Training von Millionen von Modell-Parametern mittels riesiger Mengen meteorologischer Daten. Der verwendete Algorithmus geht auf Anwendungen zurück, die aus dem Bereich der Videoanalyse stammen. Der Ansatz beruht darauf, Muster aus der Vergangenheit in die Zukunft fortzusetzen. Herkömmliche Wettervorhersagemodelle lösen dagegen Gleichungen, die auf physikalischen Gesetzen wie Energie-, Impuls- und Massenerhaltungssatz beruhen.

Frank Frick

Letzte Änderung: 13.06.2022